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Eine halbe Stunde lang stand am Montag ein „Geisterfahrrad“ auf dem Mittelstreifen der Turmstraße vor dem Amtsgericht Tiergarten.

© Nándor Hulverscheidt

Lkw-Fahrer tötet Radfahrer in Berlin: Geldstrafe laut Fahrradclub kein ungewöhnliches Urteil

Aktivisten sind empört: Der vorbestrafte Unfallverursacher fuhr bei Rot - und muss nur eine Geldstrafe zahlen. Für den ADFC ist das trotzdem kein Skandal.

Ein Lastwagenfahrer fährt über eine rote Ampel und tötet einen Radfahrer. Vergangenen Woche wurde er zu 5250 Euro Geldstrafe von verurteilt. Seinen Führerschein durfte er behalten. Am Montag wurde vor dem Amtsgericht Tiergarten gegen das "fatale Urteil" protestiert.

Das war der Unfall

Am 11. Februar 2014 wird ein 57-Jähriger Radfahrer auf der Müllerstraße in Wedding von einem Lastwagen frontal erfasst und lebensgefährlich verletzt. Einen Tag später stirbt der Radler an seinen Verletzungen. Schon in der Polizeimeldung von diesem Tag steht, dass der Radfahrer grünes Ampellicht hatte, dies hatten mehrere Zeugen ausgesagt.

Das ist das Urteil

Am 8. Oktober dieses Jahres wird der Berufskraftfahrer Lars Sch. vom Amtsgericht Tiergarten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 5250 Euro verurteilt. Zudem muss er Gerichts- und Gutachterkosten zahlen, dies können etwa 10 000 Euro sein. Der Gutachter weist in dem Prozess nach, dass die Ampel mindestens vier Sekunden bereits rot zeigte, als Sch. mit seinem Lastwagen rüberfuhr, vermutlich sogar ein oder zwei Sekunden mehr. Lars Sch. führte den Unfall auf einen „Sekundenschlaf“ zurück. Der Mann ist unter anderem vorbestraft wegen Fahrens ohne Führerschein. Sein Führerschein wird nicht eingezogen.

Protest gegen das Urteil

Im Internet-Blog „rad-spannerei.de“ erschien ein Prozessbericht. Und Montagmittag stand ein weißes „Geisterfahrrad“ auf dem Mittelstreifen der Turmstraße vor dem Amtsgericht Tiergarten. Heinrich Strößenreuther und seine Helfer hatten eine symbolische Grabstelle für den toten Radfahrer errichtet.

„Es kann nicht sein, dass ein Lkw-Fahrer einen Radfahrer tötet und sich am Tag nach dem Unfall bereits wieder hinters Steuer setzen darf“, sagte Strößenreuther. Knapp drei Dutzend Radler kamen, darunter Anselm Peter: „Ich erlebe selbst alle zwei Wochen Situationen, wo ich einen Unfall durch eigenes Zurückstecken verhindern muss.“

Johanna Dickershoff sagte, dass grundsätzlich auf beiden Seiten oft verantwortungslos oder unvorsichtig gefahren wird – wenngleich sie vom Urteil enttäuscht ist. Das „Geisterfahrrad“ musste wegen fehlender Genehmigung nach einer halben Stunde abgebaut werden. Bei der nächsten „Critical Mass“, einer organisierten, unangemeldeten Fahrraddemo, könnte die Staatsanwaltschaft das Ziel sein.

Das sagt der ADFC

„Solche Urteile sind immer wieder erschreckend“, sagt Susanne Grittner vom Berliner ADFC. Ein Skandalurteil sei es aber keineswegs, es bewege sich im Gegenteil im oberen Teil des üblichen Strafrahmens. Denn der Lkw-Fahrer sei zu 150 Tagessätzen verurteilt worden, damit sei er vorbestraft, sagt Grittner.

Die Grenze liegt bei 90 Tagessätzen. In vergleichbaren Fällen seien Autofahrer mehrmals nur zu 70 Tagessätzen verurteilt worden, berichtet Grittner. Auf Richterschelte verzichtet der ADFC deshalb bewusst. Stattdessen will sich der Fahrradclub nach diesem Urteil mit der Staatsanwaltschaft zusammensetzen und diskutieren, ob der Strafrahmen richtig ausgeschöpft wird.

In Paragraf 222 des Strafgesetzbuches steht:  „Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Wichtig sei auch, dass die Polizei schärfer kontrolliere, dies würde mehr abschrecken als ein einzelnes hohes Urteil.

Das Recht zur Fahrerlaubnis

Das Fahrerlaubnisrecht schreibt vor, dass ein Führerscheinentzug „frühzeitig auf die Betreffenden einwirken und Verhaltensänderungen auslösen“ soll. Dies war hier nicht der Fall, der Prozess fand eineinhalb Jahre nach dem Unfall statt, in Berlin normal, es können auch zwei Jahre sein. Und „als Strafmaßnahme kann ein Gericht den Führerschein gar nicht einziehen“, sagt Tobias Kaehne, Sprecher der Strafgerichte. Eine Aufhebung der Fahrerlaubnis müsse immer dem Schutz Dritter dienen.

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