Die E-Autokanzlerin – Seite 1

Die Kanzlerin steht neben einem limettengrünen VW-Bus, als sie beschließt, Herbert Diess ein wenig zappeln zu lassen. Diess, Chef der Volkswagenmarke und einer der mächtigsten Manager Deutschlands, erklärt ihr gerade, dass dieser Bulli das Auto sei, auf das die Welt gewartet habe: modern designt, geräumig, elektrisch betrieben und daher emissionsfrei, selbstverständlich mit eingebautem Fahrassistenten. Angela Merkel tippelt vom linken Fuß auf den rechten, dann unterbricht sie den Vortrag. "Wann kommt der denn auf den Markt?" Diess macht eine kurze Pause, dann sagt er: "Geplant ist 2022."

Doch die Kanzlerin setzt noch einmal nach. Sie deutet auf den roten SUV, ebenfalls von VW, der ein Stück weiter hinter ihr parkt. "Das ist ein Dieselauto, oder?" Natürlich kennt Merkel die Antwort, aber sie will es von Diess hören. "Ja, ein Diesel." "Und wann kommt der auf den Markt?", fragt Merkel. "In ein paar Wochen", sagt Diess, es klingt fast wie eine Entschuldigung. Die Kanzlerin lächelt nur.

Die Machtdemonstration gegenüber Volkswagen war nur eine kurze Etappe während Merkels Eröffnungsrundgangs auf der 67. Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt. Dennoch machte die Szene klar: Vorbei sind die Zeiten, in denen die Messe vor allem als Schaulaufen der großen Autohersteller diente, die dort ihre neuesten, größten und protzigsten Modelle präsentierten.

Der Dieselskandal hat aus dem Fortbewegungsmittel Auto ein Politikum gemacht. Statt PS werden heute Emissionswerte verglichen, statt Fahrvergnügen drohen Fahrverbote. Die Hersteller haben das begriffen, das merkt man den Mitarbeitern und Ständen auf der IAA an: In vielen Gesprächen und Vorträgen geht es um E-Autos, bessere Batterien, kluge Ladestationen oder umweltfreundliche Treibstoffe. Das Problem ist nur: Umgesetzt und ausgestellt haben die Unternehmen bislang kaum etwas davon.

Tesla und Nissan sind nicht auf der IAA

Die diesjährige IAA, das wird während Merkels Gesprächen mit Autobauern und Zulieferern besonders klar, leidet an einer riesigen Text-Bild-Schere: Das Gesagte passt nicht zum Gezeigten.

Volkswagen ist dafür das beste Beispiel. Das Gesagte dreht sich bei VW fast ausschließlich um die 80 angekündigten Hybrid- oder E-Modelle, die bis 2025 entwickelt werden sollen. Das Gezeigte jedoch – die Autos also, die den Besuchern auf der IAA tatsächlich präsentiert werden – sind überwiegend große, luxuriöse Limousinen oder SUVs, die natürlich mit Diesel oder Benzin fahren.

Dieses Problem betrifft nicht nur Volkswagen, sondern die gesamte IAA. Die Hersteller schmücken sich gerne mit der Zukunft – stellen aber die Vergangenheit aus. Als die Welt etwa vor einigen Tagen die zehn wichtigsten Neuheiten der IAA vorstellte, waren darunter acht SUVs, die Audi-Limousine A8 und der neue VW Polo. Hybrid- oder gar Elektroautos? Kommen auf der IAA fast nur als Design-Studien, also noch zu verfeinernde Rohmodelle daher.

Das liegt auch daran, dass die beiden wichtigsten Hersteller von E-Autos die größte Automesse der Welt in diesem Jahr einfach ignorieren: Der US-Anbieter Tesla gilt in der Branche als technologischer und stilistischer Spitzenreiter, gerade in der Oberklasse; der japanische Autobauer Nissan hat das meistverkaufte Elektroauto der Welt entwickelt, vom Nissan Leaf wurden weltweit bereits knapp 300.000 Modelle abgesetzt. Deutsche Hersteller sind von solchen Zahlen oder dem Stylefaktor eines Tesla weit entfernt.

Manche Hersteller versuchen, das E-Thema auszuklammern

Die Probleme der E-Autos in Deutschland sind dabei seit Jahren identisch: Sie sind sehr teuer und vielen Menschen nicht cool genug, haben geringe Reichweite und zu lange Ladezeiten, ihre Strombilanz ist fragwürdig, solange die Energie nicht aus erneuerbaren Quellen kommt. Vor allem aber: Wer soll ein massentaugliches E-Auto hierzulande bauen?

Am weitesten scheint hier BMW zu sein. Der Münchner Autobauer präsentiert Merkel bei ihrem Rundgang das Elektro-Coupé i-Vision: modernes Design, 600 Kilometer Reichweite, Spitzengeschwindigkeit von über 200 Stundenkilometern. Als BMW-Chef Harald Krüger erwähnt, das E-Coupé könne in vier Sekunden von null auf 100 beschleunigen, strahlt Merkel zum ersten Mal an diesem Tag. Der Makel der gesamten IAA bleibt jedoch auch hier haften: Bis zur Serienreife des i-Vision vergehen laut BMW noch vier bis sechs Jahre.

Um unangenehme Fragen nach dem Stand ihrer E-Autos gleich ganz zu vermeiden, versuchen manche Hersteller, das Thema bei Merkels Besuch lieber auszuklammern. Ford etwa stellt statt eines Diesels lieber ein E-Bike auf die Bühne. Im Plausch mit der Kanzlerin geht es anschließend um ein neues Fahrradleihsystem in Kooperation mit der Deutschen Bahn ("Das ist genau der richtige Ansatz") – und nicht um lästige Fragen nach Fahrverboten oder Akkuladezeiten. 

Das Problem mit dem Kulturwandel

Merkel bemüht sich sichtlich, die Autohersteller bei ihrem IAA-Besuch nicht zu gut wegkommen zu lassen. In ihrer Eröffnungsrede etwa beginnt sie gleich mit der Kritik an den Unternehmen – die wohlwollenden Kommentare zur Bedeutung der Industrie für Deutschland folgen erst später. Unternehmen hätten "Regelungslücken exzessiv ausgenutzt" und damit Verbraucher und Behörden getäuscht, sagt Merkel. Als Einzige nimmt sie auch den Namen eines an den Skandalen beteiligten Herstellers in den Mund: Volkswagen. So konkret will auf der IAA sonst kaum jemand werden, nicht einmal die Konkurrenz.

Insgesamt sind es die Details, die zeigen, wie schwer sich die Branche trotz aller Ankündigungen und geplanten Investitionen mit dem Kulturwandel tut: Die wichtigsten Themen der diesjährigen IAA etwa werden in der neu geschaffenen New Mobility World gebündelt, einer Art Zukunftsmesse zum autonomen Fahren, für Elektromobilität oder intelligentere Vernetzung im Internet der Dinge. Dumm nur, dass diese Minimesse am Sonntag schon wieder beendet wird – die IAA selbst läuft hingegen noch eine Woche länger.

Auch die Firmen selbst sprechen zwar von ihrer Verantwortung gegenüber der Umwelt und davon, wie wichtig es sei, die Luft künftig sauberer zu machen. Gleichzeitig aber begegnen einige Hersteller den immens hohen Hotelkosten in Frankfurt, indem sie ihre Mitarbeiter täglich nach Frankfurt ein- und wieder ausfliegen. Ökonomisch mag das sinnvoll sein – als Signal ist es fatal.