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Autostadt Stuttgart Kill your darlings!

Stuttgart ist Deutschlands heimliche Autohauptstadt. Nirgendwo lassen sich die Folgen besser besichtigen: Die Stadt erstickt an Abgasen und Verkehr. Jetzt wäre die Zeit für Veränderungen.

Natürlich ist es unfair, eine Geschichte über Stuttgart in Sindelfingen zu beginnen. Ausgerechnet Sindelfingen, sehr sauber, sehr schwäbisch, 64.000 Einwohner. Der Verwaltungsjargon nennt solche Städte Mittelzentren, was klingt wie nur mittelgut, also schlecht. In den Achtzigerjahren galt die Stadt als reichste Kommune Europas. Zebrastreifen auf den gepflasterten Straßen im Zentrum markierte man mit weißem Marmor aus Carrara, worüber sich der Rest des Landes lustig machte. Der Hedonismus der alten BRD. Herrje, hatten wir es gut.

Ausgerechnet hier erforscht Marianne Reeb seit drei Jahren die Zukunft. Sie ist Professorin für Kulturarbeit und leitet bei Daimler die Abteilung "Future, Life, Mobility", was auch auf Deutsch nicht besser klingt. Früher hatte sie ihre Denkfabrik in Berlin am Potsdamer Platz, nun ist sie in einem Gewerbegebiet untergebracht, an einer vierspurigen Straße, die zum Daimler-Werk Sindelfingen führt und wo jeder Zebrastreifen überflüssig ist, weil kein Mensch zu Fuß geht. Das Bürogebäude, weiß und wuchtig, Eingang durch die Parkgarage, nennt sich Haus der Mode, in dem Textilfirmen ihre neuesten Kollektionen vorführen. Mittags kommt pünktlich ein Daimler-Bus und bringt die Denkarbeiter in die Werkskantine. Frau Reeb sagt, dass beim Daimler keine Büros frei gewesen seien. Vielleicht ist Sindelfingen gar kein so schlechter Ort, sich eine bessere Zukunft vorzustellen.

Ihre Arbeit besteht darin, aus dem Verhalten der Menschen herauszulesen, was neue Technologien und gesellschaftliche Trends in 15 Jahren aus ihnen machen werden. Es gab Zeiten, da wurden Futurologen als Spinner betrachtet, die zu viele Science-Fiction-Comics gelesen hatten. Aber im Jetzt des Silicon Valley lässt Tesla-Gründer Elon Musk Hyperloops testen, Röhrenbahnen, in denen Fahrgäste schneller als im Flugzeug von Stadt zu Stadt geschossen werden sollen. Alles ist möglich.
Auf der Automobilausstellung in Frankfurt wird Frau Reeb sogenannte Zukunftsbilder präsentieren, Visionen für ein paar ausgesuchte Metropolen. Stuttgart, nun ja, ist auch dabei, die Heimat des Daimler-Konzerns, wo vor 130 Jahren das erste Automobil mit vier Rädern erfunden wurde. Die Autohauptstadt Deutschlands, die so wohlhabend ist wie kaum eine andere deutsche Metropole, dank Daimler, Porsche und Bosch, und gleichzeitig am meisten darunter leidet, was sie selbst erschaffen hat. Die dreckigste Luft, die meisten Staus. In Stuttgart hat Gottlieb Daimler schon einmal die Zukunft entworfen, nun muss es ein zweites Mal geschehen. Sagen alle. Industrie. Politik. Gewerkschaften. Bürger. Niemand will enden wie Detroit. Aber wie?

Reebs Animation sieht aus wie eine Zukunftsillustration aus den Schulbüchern unserer Kindheit. Die Farben warm, der Himmel blau, die Bäume grün. Sie zeigt die größte Kreuzung Stuttgarts: Dort, wo heute Autos um jeden Millimeter kämpfen, sollen Menschen auf der Straße Kaffee trinken. Der Massenverkehr findet unter der Erde statt, fahrerlose U-Bahnen und Autos, dicht an dicht. Oben eine Seilbahn für den Transport von Menschen und Waren. Ein Auto hält an, der Mann darin liest Zeitung, während das Robocar einen Zebrastreifen auf die Straße projiziert, damit ein Fußgänger hinüberkann. Selbstfahrende Kehrmaschinen säubern den Bürgersteig. Ein Hochhaus wird zum Urban Farming benutzt.

Kein einziger Polizist ist zu sehen, keine Ampel. Eine Welt ohne Regeln, eine Welt der Kooperation, in der Menschen und Maschinen miteinander kommunizieren. Eine Welt ohne Luftverschmutzung, ohne Unfälle. Frau Reeb spricht von Smart Cities, Shared Spaces, von Echtzeitinformation, von Verdichtung der Funktionen, die viele der heutigen Transportwege unnötig macht, weil Gemüse nicht mehr auf dem Land, sondern in der Stadt wächst.

Stuttgart-21-Baustelle an der B14: Autogerecht ist heute ein Schimpfwort

Stuttgart-21-Baustelle an der B14: Autogerecht ist heute ein Schimpfwort

Foto: Berthold Steinhilber/DER SPIEGEL

Man sieht eine Car2go-Station auf dieser Zeichnung, ab und zu einen Stern, die einzigen Hinweise auf Daimler. Der Konzern ist einer der mächtigsten eines prosperierenden Landes, aber was, wenn eines nicht allzu fernen Tages viele Kunden keine Autos mehr kaufen, sondern nur möglichst einfach und günstig zur Arbeit kommen wollen oder zum Sport oder ins Wellnesshotel auf der Schwäbischen Alb? Es würde fast alles infrage stellen, was Daimler heute macht.

Frau Reeb ist nicht dafür da, die innere Verfassung des Konzerns zu deuten. Sie kann auch keine Anweisungen geben für den großen Umbau. Und sie ist erst recht keine Wahrsagerin, die in die Glaskugel schaut. Sie weiß nur, dass die neue Welt Dinge verändern wird, die uns lieb und wertvoll sind. Und dass es wehtun wird. Frau Reeb sagt: Kill your darlings.

Die Fahrt aus dem Büro von Frau Reeb in Sindelfingen hinunter nach Stuttgart ist eine Reise aus der Zukunft in die Gegenwart. Aus dem Paradies, das es nicht gibt, vielleicht nie geben wird, in die sehr wirkliche Hölle einer Großstadt. Nach ein paar Kilometern durch grünste Landschaften mündet die Autobahn in die Bundesstraße 14, die, sobald die Stadtgrenze erreicht ist, durch einen Tunnel hindurch die Autos hinausspeit in die Stadt wie ein nie endender Wasserfall. 50.000 Autos, geschätzt, fahren hier jeden Tag. Hochgerechnet mehr als zehn Millionen Autos jährlich, mindestens.

Die ersten Siedler, die sich im zehnten Jahrhundert im Stuttgarter Talkessel zusammenfanden, waren schlau. Der Zugang vom Fluss ist schmal und damit übersichtlich, die Hügel schützten vor Angreifern, das Klima ist mild, der Wasserweg als Anbindung an die Welt, man kann ihnen nichts vorwerfen, sie konnten es nicht ahnen. Zumal es ja noch keine Zukunftsforscher gab.

Heute ist der Talkessel Stuttgarts einer der Gründe dafür, warum die Stadt so leidet. Bei ungünstigen Wetterlagen stauen sich die Abgase im Kessel, die anspruchsvolle Topografie verhinderte wohl auch den Bau eines Autobahnrings. So ist die B 14 nicht nur die berühmteste, sondern auch die wesentliche Straße dieser Stadt, die an allem vorbeiführt, was Stuttgart zu bieten hat: am Marienplatz im Süden, wo die Hipster Kreuzberg spielen, vorbei an Verkehrsministerium, Rathaus, Neuem Schloss, Schlossplatz, Landtag, Oper, Staatsgalerie, Stuttgart 21. Mal heißt sie Hauptstätter Straße, mal Konrad-Adenauer-Straße, bis sie irgendwann am Neckar das Daimler-Werk in Untertürkheim durchkreuzt. Sogar das VfB-Stadion lässt sich auf dieser Stadtrundfahrt besichtigen.

Autogerecht, das ist heute ein Schimpfwort. Stuttgart ist autogerecht, das war der Plan. Autos waren hier viele Jahrzehnte wichtiger als Menschen. Seit vier Jahren hat Stuttgart einen grünen Oberbürgermeister und seit sechs Jahren einen grünen Ministerpräsidenten und einen grünen Verkehrsminister, die alles anders machen wollten und eigentlich gute Voraussetzungen haben: Mehr politische Macht geht kaum. Im Moment aber sieht es so aus, als seien sie nicht sonderlich erfolgreich.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart ist ein schmuckloser Neubau, 500 Meter entfernt von der B 14, vielleicht wird die Geschichte irgendwann mal den 28. Juli 2017 als Tag markieren, an dem alles kippte. An jenem Freitag gaben die Verwaltungsrichter der Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen das Land recht, die ein Fahrverbot für ältere Dieselautos gefordert hatte. Der Aufstand beginnt diesmal nicht auf der Straße, sondern im Gericht.

Die Deutsche Umwelthilfe ist eigentlich eine One-Man-Show. Jürgen Resch, seit 1988 Geschäftsführer, war 15, als er einer Umweltorganisation am Bodensee beitrat. Als Zivildienstleistender führte er eine Kampagne gegen Insektizide, den Kampfmodus hat er seitdem nicht mehr verlassen. Dosenpfand, Partikelfilter, Resch hat einiges erreicht. Dieser Tag am Verwaltungsgericht aber ist der Triumph seines Lebens.

Messstation am Neckartor: Dieselmahnmal

Messstation am Neckartor: Dieselmahnmal

Foto: Berthold Steinhilber/DER SPIEGEL

Seine Stimme zittert etwas vor Euphorie, während er im Vorraum des Gerichtssaals das Urteil kommentiert. Um ihn herum Kamerateams, Journalisten und Aktivisten. Resch ist 57, weiße Haare, Brille und ein Anzug, der sagt, muss ja sein. Das Studium der Verwaltungswissenschaften brach er ab, kein revolutionärer Charismatiker, sondern ein Technokrat. Ein zäher Bursche. Die Jahrzehnte des Kampfes haben seine Rhetorik scharfgemacht.

Für ihn ist es ein Sieg über die Automobilindustrie, deren Stickoxidemissionen jedes Jahr mehr als 10.000 Menschen das Leben kosteten, nur um ein paar Hundert Euro bei jedem Auto zu sparen für den Profit. Ein Sieg über eine Industrie, die jahrelang die Grenzwerte ignorierte, ihre Autos manipulierte, Staat und Käufer betrog und sich gegenseitig absprach. In Interviews vor der Entscheidung erwähnt er immer wieder den SPIEGEL-Titel über das Autokartell. Bestätigt der nicht alles, was Resch längst zu wissen glaubte?

Ein paar Tage vor der Entscheidung sprach er auf der Montagsdemo gegen Stuttgart 21, die es immer noch gibt, obwohl der Kampf längst verloren ist. Es sind keine tausend Leute mehr. Die riesige Baustelle zwischen Bahnhof und B 14 klafft in der Stadt wie eine Wunde, was die Wut nur größer macht. Die Regierungen, ruft Resch, seien ferngesteuert und exekutierten nur die Anweisungen der Industrie. Der Dieselgipfel? Ein Geheimtreffen, an dem die Zivilgesellschaft nicht teilnehmen dürfe. Er schlägt Stuttgart eine Städtepartnerschaft mit Palermo und Neapel vor, den Hauptstädten der organisierten Kriminalität. Autoindustrie, Banken, die chemische Industrie regierten in Wahrheit dieses Land und zerstörten die Demokratie.

Rund 50 Demonstranten sind an diesem Morgen ins Gericht gekommen. Während der Richter sein Urteil begründet, begleitet ihr Raunen dessen Worte, am Ende jubeln und applaudieren sie. Wutbürger hat man diese Leute genannt, als der Kampf um Stuttgart 21 tobte. Die meisten sind über sechzig, Männer wie Frauen tragen ihre weißgrauen Haare kurz geschnitten, fahrradfahrende, eloquente Bürger des Landes, von denen eine gewisse schwäbische Ingenieurshaftigkeit ausgeht, ein wenig sturköpfig und besserwisserisch, aber schlank, sportlich, supergesund. Man hat nicht den Eindruck, dass ihnen die Stuttgarter Luft besonders schlecht bekommen wäre.

45.000 Tote jährlich durch Feinstaub, 10.000 Tote durch Stickoxide, das sind die Zahlen, von denen das Umweltbundesamt, die Richter und Resch sowieso ausgehen. Feinstaub und Stickoxide können zu Infektionen der Atemwege führen, zu Lungenkrankheiten, Herzinfarkten, Schlaganfällen. Die Zahlen selbst sind Schätzungen. Welcher Tote nun genau an der schlechten Luft gestorben ist, lässt sich schwer belegen.

Tatsächlich ist die Luft in Deutschland und in Stuttgart heute besser als vor 30 Jahren. Zigaretten produzieren mehr Feinstaub als ein alter Dieselmotor. Sich an den Grill zu stellen - Schadstoffe entstehen auch beim Verbrennen von Holz und Holzkohle - ist wahrscheinlich auch nicht ungesünder, als an der B 14 zu campen. Was sich geändert hat, sind die Grenzwerte und das Gesundheitsbedürfnis einer älter werdenden Gesellschaft. Die Welt ist voller Widersprüche. Helfen die verteufelten, aber sparsamen Dieselmotoren nicht auch, den CO2-Ausstoß zu senken und das Klima zu retten? Braucht die Stadt nicht unbedingt einen neuen Bahnhof, um die Pendler in die Züge zu bekommen? Finanziert sich Reschs Umwelthilfe nicht durch ausgefuchste Abmahnverfahren gegen mutmaßliche Umweltsünder oder durch Fördergelder von Unternehmen, die sich einen Vorteil erhoffen? Revolutionen verzichten auf das Kleingedruckte.

Das Auto muss weg, die Wutbürger in Stuttgart gehören zu der Generation, die Anfang der Achtzigerjahre mit den Grünen erwachsen wurde. Das Auto muss weg, so würde und kann das natürlich Fritz Kuhn, der grüne Oberbürgermeister der Autohauptstadt Deutschlands, nicht sehen, auch wenn er zur selben Generation gehört. Immerhin versprach er im Wahlkampf, den Autoverkehr um 20 Prozent zu reduzieren. Und er gewann.

Sein Büro im Rathaus macht nicht den Eindruck, als habe er den Etat seiner Stadt mit üppigem Mobiliar oder teurer Kunst belastet. Es braucht keine zehn Minuten, bis Kuhn den Kuhn-Klassiker sagt: mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben. Er gehörte 1980 zu den Gründungsmitgliedern in Baden-Württemberg, saß im Landtag, ging nach Berlin, ein Gefährte Joschka Fischers. Bundesvorsitzender, Fraktionsvorsitzender; Kuhn hat viel geschafft, die Fundis gehörten nie zu seinen Freunden. Nun ist er zum ersten Mal in seiner Karriere in politischer Verantwortung.

"Stuttgart", so eröffnet er das Gespräch, "geht es gerade wirklich saugut, da braucht man nicht drum rumzureden." 2016 hat die Stadt einen Überschuss von 231 Millionen Euro erzielt. Mehr als 70 Millionen Euro davon gehen in den öffentlichen Nahverkehr für neue Straßenbahnen. 610.000 Einwohner, die Zahl der Arbeitsplätze wächst seit Jahren. Die Stadt hat nur noch 58 Millionen Euro Schulden, dazu die Verbindlichkeiten der städtischen Betriebe von rund 420 Millionen Euro. Was gar nichts ist. Köln hat fünf Milliarden Schulden.

Dass es Stuttgart saugut geht, hat auch mit Daimler zu tun. Rund 1,6 Millionen Fahrzeuge verkaufte der Konzern im ersten Halbjahr 2017, so viele wie noch nie zuvor, fast 300.000 davon in China. "Aber", sagt Kuhn, "es gibt den alten Spruch: Wenn der Daimler hustet, haben Stuttgart und die Region Lungenentzündung. Der Laden muss ja laufen. Wir können nicht die Fahne hochhalten und ansonsten auf den Untergang warten. Wir müssen auf Umwelt und Ökonomie gleichzeitig achten." Auch Kuhn spricht vom Paradigmenwechsel, von neuer Mobilität, von Elektroautos, davon, dass Stuttgart das Labor der Zukunft sein müsste angesichts des Reichtums der Stadt und ihres Erfindergeists. "Allerdings kämpfen wir noch immer mit den Lobbys der autogerechten Stadt." Nur die Ankündigung, ein Prozent der Parkplätze jährlich abzuschaffen, schon sind alle auf den Barrikaden. "Überall in Europa sind die Innenstädte beruhigt, und hier in Stuttgart, der Autostadt, soll es anders sein? Das ist doch absurd. Der Stau hier wird immer skurriler. Verlorene Lebenszeit."

Immerhin fahren 500 Elektro-Smarts von Car2go, 400 Ladepunkte wurden eingerichtet, einzigartig in Deutschland. E-Fahrräder, E-Roller, alles zum Mieten, die Straßenbahn wird ausgebaut, irgendwann kommt der neue Bahnhof, mehr S-Bahnen, neue Regionalzüge. "Wir müssen den Reichtum der Stadt für neue Innovationen nutzen. Investitionen in die alten Strukturen bremsen den Innovationsprozess."

Kuhn hat den Begriff "Feinstaubalarm" erfunden, um die Bürger dazu zu bringen, ihre Autos stehen zu lassen, wenn die Inversionswetterlage den Schmutz im Kessel lässt. Es gibt Vergünstigungen bei den Verkehrsbetrieben. Am Neckartor, dort, wo sich die B 14 hinauswindet aus der Stadt und die legendäre Messstation sich an einer Hauswand duckt, wurde eine spezielle Moosart an Betonmauern angebracht. Sie soll den Feinstaub fressen, so ganz genau weiß man noch nicht, ob das funktioniert. Nachts schrubben hier spezielle Reinigungsmaschinen, um den Feinstaub einzusammeln.

Es gab eine kurze Zeit lang den Plan, zumindest an Tagen besonders starker Luftverschmutzung älteren Dieselautos den Einfall in die Stadt zu verwehren, was zu großem Gejaule führte, bei den Autoleuten, den Einzelhändlern, bei der CDU, der SPD, bei der FDP sowieso. Tage vor dem Termin im Verwaltungsgericht erklärte das grün-schwarze Landeskabinett von Winfried Kretschmann, man habe sich mit der Autoindustrie auf eine Nachrüstung älterer Dieselmodelle geeinigt und setze darauf, so die Grenzwerte einhalten zu können. Kuhn versucht, das zu verteidigen. Er spricht von Verhältnismäßigkeit und juristischen Grenzen. Andererseits ist er enttäuscht von den auf dem Dieselgipfel besprochenen Software-Nachrüstungen. Kuhn hofft auf eine vom Bundesverkehrsminister initiierte Regelung von Fahrverboten mit blauen Umweltplaketten. Die aber scheint in weiter Ferne. Großes Dilemma: Die Autoindustrie will nicht, die Politik kann nicht so recht, die Gerichte machen Druck. Aber was kann Politik tun, um Probleme zu lösen? "Politik muss Druck machen, treiben, Lösungen einfordern. Mit Technikentwicklung würden wir uns verlupfen."

Verlupfen. Ein schönes Wort.

Stuttgart ist auch ein politisches Versuchslabor. Die Entscheidung, ob man in Berufung geht gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, trifft nicht Oberbürgermeister Kuhn, sondern die Landesregierung. Eine grün geführte Landesregierung, die sich gegen ein geradezu fundamentalistisch grünes Gerichtsurteil stellt, das die Gesundheit der Bürger höher wertet als die freie Fahrt der Bürger, das klingt unschön. Die Grünen hatten schon mal größeren Zuspruch. In ein paar Wochen, am 24. September, ist Bundestagswahl, der Richter hat sein schriftliches Urteil für spätestens Ende August angekündigt. Da kann es auf Tage ankommen. Wenn der Richter schnell ist, müsste man sich noch vor der Wahl für die Berufung entscheiden, um die Berufungsfrist von einem Monat einzuhalten. Nicht gut. Stattdessen ein Fahrverbot in Baden-Württemberg? Auch nicht gut.

Verlupft hat sich möglicherweise Winfried Hermann, der grüne Verkehrsminister Baden-Württembergs. Zu Sitzungen im Landtag, einem Glaskubus der frühen Sechzigerjahre an der B 14, die hier Konrad-Adenauer-Straße heißt, fährt er mit dem Fahrrad. Helm, Rucksack, im linken Ohr einen Brilli, ein kantiger, bulliger Typ. Kuhn und Hermann kennen sich seit den frühen Achtzigerjahren. Die beiden saßen gemeinsam im Landtag, in den Nullerjahren auch gemeinsam im Bundestag. Der eine eher links, der andere eher rechts.

Mooswand an der B14: Feinstaubfresser

Mooswand an der B14: Feinstaubfresser

Foto: Berthold Steinhilber/DER SPIEGEL

Die beiden haben mal vor zehn Jahren ein Strategiepapier zur Verkehrspolitik geschrieben: Green Car Concept. Das Papier forderte ein Tempolimit und eine generelle Abregelung aller Fahrzeuge bei 160 km/h. Der Ton ist ruppig, Klimacrash, PS-Protzerei. Aber Ausbau des Nahverkehrs, Kombination der Verkehrsmittel, Elektromotoren, das alles kam vor: "Das Auto der Zukunft fährt grün - oder gar nicht." Sie haben damals, zusammen mit Kretschmann, Daimler-Chef Dieter Zetsche besucht. Vorstellbar, dass er sie für grüne Spinner hielt. Sie sagten ihm: Du musst etwas verändern, wenn du stark bist, wenn nicht, gehst du irgendwann in die Strukturkrise. Zetsches Antwort: Wieso? Uns geht es doch gut.

Inzwischen, sagt Hermann, reden sogar manchmal Konzernbosse wie grüne Spinner. Digitalisierung, Elektrifizierung, Klimaschutz, Arbeitsplätze. "Wir haben in Baden-Württemberg erlebt, was passieren kann: lange Zeit hohe Umsätze und große Gewinne und dann plötzlich der Absturz. Im Schwarzwald gab es einmal 30.000 Arbeitsplätze in der Uhrenindustrie, heute sind es 1000, auch, weil ein technologischer Sprung verschlafen wurde."

Politik ist ein ewiger Kompromiss. Als Abgeordneter ist das schon lästig genug. Streitereien in der Fraktion, der Kampf um den richtigen Weg. Als politischer Funktionsträger aber, als Verkehrsminister Baden-Württembergs, das wie kein anderes Land von der Autoindustrie lebt, muss man vielleicht manchmal Dinge sagen, die das Gegenteil dessen sind, was man für richtig hält.

Es ist wohl so, dass Hermann das zeitlich eingeschränkte Fahrverbot für ältere Dieselfahrzeuge in Stuttgart gewollt hat. Dass seine Abteilungsleiter vor dem Verwaltungsgericht keine überzeugende Rolle spielten, könnte damit zu tun haben, dass sie selbst nicht wirklich überzeugt waren. Die Klage, sagte Hermann schon vor der Verhandlung, könne er nachvollziehen. Und ob die Nachrüstung der Industrie Erfolg bringe, dafür gebe es keine Belege.

Die Kartellvorwürfe gegen VW, Porsche, Audi, Mercedes und BMW scheinen alle Vorbehalte zu bestätigen. Ob er sich betrogen fühle, wurde er gefragt. Ja, in der Tat. "Jetzt ist", sagte er, "auch mal ein bisschen Demut und Anstand angesagt und nicht diese hochmütige Haltung nach dem Motto: Wir wollen, dass die Politik uns endlich in Ruhe lässt." Glauben an die Autoindustrie, das sei keine Kategorie mehr. Und der Dieselgipfel gerade? Was soll er dazu noch sagen?

Fast scheint es, als müsse Hermann gerade alles ausbaden. Irgendwann auf der Terrasse des Landtags, Blick auf den Schlossgarten, auf das schöne Stuttgart, das es auch gibt, spricht er über China. "China", sagt er, "kann brachial schnell handeln, weil sie eine Diktatur sind. Das können wir nicht."

Leider nicht?

"Leider? Das sag ich nicht. Aber wir brauchen die Transformation. Meine Aufgabe ist es, diesen Prozess zu befördern. Wir könnten uns auch drücken. Das wäre die Gestaltung von Zukunft by Disaster. Dann wären wir wirklich bald Detroit."

Blick aus dem Mercedes-Museum: Herz und Gedächtnis des Konzerns

Blick aus dem Mercedes-Museum: Herz und Gedächtnis des Konzerns

Foto: Alina Emrich & Kiên Hoàng Lê/Lêmrich/DER SPIEGEL

Das Verwaltungsgebäude des ADAC liegt fast in der Nachbarschaft des Landtags, ein paar Meter die B 14 Richtung Norden. Dieter Roßkopf ist Vorsitzender des ADAC in Württemberg, und wahrscheinlich haben ihn die 70.000 Autos mürbe gemacht, die täglich auf sechs Spuren das Neckartor passieren, das den Ruf hat, Deutschlands schmutzigste Straße zu sein. Gleich ums Eck misst die Station des Umweltamts die Emissionen. Auf der anderen Straßenseite die berühmte Mooswand, keine Ampel, kein Zebrastreifen, kein Bürgersteig. Man riskiert Leib und Leben, um das Moos aus der Nähe zu betrachten, das nun im Sommer eher graubraun ist. Es gibt Leute, die sagen, das Zeug sei längst verendet.

Roßkopf sagt ungeheure Dinge. Zum Beispiel, dass der ADAC bereits Mitglieder habe, die gar kein Auto besäßen, und kein Verein der Autofahrer sei, sondern sich als Mobilitätsbegleiter verstehe. Dass die Gesundheit der Menschen nicht verhandelbar sei. Dass man viel zu lange mit Vollgas auf die Wand zugefahren sei. Dass es gute Luft nicht zum Nulltarif gebe. Fahrverbot? Er spreche lieber von Verkehrsbeschränkungen. Es sei verhängnisvoll, dass Gerichte Politik machten und nicht die Politik. Er spricht von 90.000 Pendlern in Stuttgart, die bereit wären, umzusteigen auf den öffentlichen Nahverkehr, aber sich nicht wie Sardinen transportieren lassen wollten. Er fordert ein Bündel von Maßnahmen, Ausbau des Nahverkehrs, er nennt 250 Millionen Euro als Sofortmaßnahme, und langfristig 100 Millionen Euro jährlich, aber auch Nachrüstungen und Fahrverbote.

So wie Stuttgart jetzt sei, gehe es auf keinen Fall. Das mache keinen Spaß. Weder denen hier oben im Büro des ADAC noch denen da draußen, weil sie nur die dreckige Luft einatmeten, die ihre Autos produzierten. Roßkopf, ein Anwalt und nun ehrenamtlich tätig, spricht sanft und langsam, was seinen Sätzen im ersten Moment die Härte nimmt. "Stuttgart nennt sich Automobilhauptstadt, und wenn es die bleiben will, muss es etwas tun."

Ansonsten killt die Automobilität sich selbst? Ja, sagt er und lächelt. Wahrscheinlich meint Oberbürgermeister Kuhn genau das, wenn er von einem Kulturwandel spricht, der längst stattgefunden habe.

Stuttgarts Innenstadt endet hier beim ADAC. Das wahre Zentrum der Autohauptstadt liegt jenseits des Neckars, das Daimler-Werk in Untertürkheim, dessen Herz und Gedächtnis das Mercedes-Benz-Museum ist. Ein silbern glänzender Technotempel. Ein Monument des 20. Jahrhunderts, auch wenn es erst 2006 eröffnet wurde.

Der Aufzug führt die Besucher hinauf auf die oberste Ebene, der Blick hinaus auf die verstopfte B 14, die das Werk durchkreuzt, ist atemberaubend. Der Weg hinunter ist ein Spaziergang durch die Geschichte des Konzerns, die auch die Geschichte des Automobils ist. Von ihrem Anfang und vielleicht auch bis zu ihrem Ende.

Es beginnt mit Gottlieb Daimlers Motorkutsche aus dem Jahr 1886. Er hatte einen Ein-Zylinder-Verbrennungsmotor, den er in seiner Gartenlaube zusammengebaut hatte, in eine Pferdekutsche eingesetzt, eigentlich ein Geburtstagsgeschenk für seine Frau. So viele schöne Autos. Rudolf Caracciolas Silberpfeil von 1937, fast 600 PS schon damals, 320 km/h, ein Rennauto, das strahlt vor Mut und Eleganz. Ein 300 SL Coupé von 1954, Flügeltüren, lange Motorhaube, Platz genug, dass sich langbeinige Models darauf räkeln konnten. Ein 200 D von 1984, der in Portugal 18 Jahre lang als Taxi schaffen musste und erst nach 1,9 Millionen Kilometern aufgab. Und dann dieser strahlend rote Mercedes-Maybach 6 aus dem vergangenen Jahr, der so retrofuturistisch aussieht, so nach dicken Eiern, als ob eine Luden-Fantasie wahr geworden wäre, auch wenn sich unter der Motorhaube vier Elektromotoren verstecken. Ehrlicherweise muss man sagen, dass es dieses Auto gar nicht gibt. Und dass es seit ein paar Tagen auch nicht mehr im Museum steht. War vielleicht nur so eine präpotente Idee.

800.000 Besucher kamen allein im vergangenen Jahr. Das Museum erzählt die Geschichte von Freiheit und Unabhängigkeit im 20. Jahrhundert. Davon, sich ins Auto zu setzen, die Welt zu erobern und am nächsten Morgen in Italien am Mittelmeer zu stehen. Einfach loszufahren und weiß der Teufel wo ein neues Leben zu beginnen. Ein Museum deutscher Ingenieurskunst, die, so sah es lange aus, für jedes Problem eine Lösung fand und den Wohlstand eines ganzen Landes produzierte.

Mercedes-Maybach-Studie mit Elektroantrieb: Vielleicht nur so eine präpotente Idee

Mercedes-Maybach-Studie mit Elektroantrieb: Vielleicht nur so eine präpotente Idee

Foto: Daimler AG

Der rote Luden-Maybach ist vielleicht nur eine Schwachsinnsidee, aber sie wäre lustiger, wenn es weiterhin irgendein Elektroauto von Mercedes gäbe. Das erste einer neuen Generation ist für 2019 angekündigt. In China wurden 2016 fast 260.000 Elektroautos verkauft, die meisten aus chinesischer Produktion. In den USA hat Tesla gerade die ersten Model-3-Fahrzeuge ausgeliefert, sie kosten nur 30.000 Euro, 500.000 sollen im nächsten Jahr vom Band laufen. Das Mercedes-Museum könnte auch ein Denkmal der Hybris werden.

Dieselskandal, mögliche Kartellabsprachen, Zulassungsentzug für Porsches Cayenne, nun das Fahrverbot. Es könnte der Tipping-Point sein, der Beginn vom Ende der Autoindustrie, wie wir sie kennen.

Der Umbau eines Konzerns mit weltweit mehr als 280.000 Mitarbeitern und einem Jahresgewinn von neun Milliarden Euro ist, zugegeben, eine komplizierte Sache. Vor zwei Jahren rief Daimler-Chef Zetsche das neue Zeitalter aus, bei einer Veranstaltung im Mercedes-Museum, geladen waren Aktionäre, Politiker, NGOs. Frau Reeb erinnert sich, dass Zetsche Blazer, Jeans, Hemd trug, keine Krawatte, und vom Kulturwandel sprach, davon, Dinge auszuprobieren. Zetsche hat den Autokonzern in einen Mobilitätskonzern umgewidmet, was erst mal heißt, dass das Geld konventionell verdient und experimentell ausgegeben wird. Zum Beispiel in einer Tochterfirma, die sich Moovel nennt.

Sie hat ihren Sitz in Stuttgart am Marienplatz, dort, wo sich die Hipster sammeln und der Heslacher Tunnel die Stadt mit Autos überschwemmt. Jobbewerber werden manchmal auf die Terrasse im sechsten Stock geführt: Unsere Aufgabe ist es, dass das da unten aufhört.

Sindelfingen und Untertürkheim sind weit weg, was kein Zufall ist. Moovel will funktionieren wie ein modernes Start-up. Das Büro sieht aus wie Silicon Valley, schicke Küche als Zentrum, Offenheit als Prinzip. 240 Mitarbeiter weltweit aus 30 Nationen sind hier beschäftigt, Durchschnittsalter knapp über dreißig, die Frauenquote verbesserungsfähig, kaum jemand, der aussieht, als ob er darauf brenne, sich bald einen Mercedes anzuschaffen.

Die Geschäftsidee ist der Betrieb einer sogenannten Mobilitätsplattform. Wer in einer Stadt von A nach B will, bekommt über eine App alle Möglichkeiten angeboten: Bus, U-Bahn, S-Bahn, Deutsche Bahn, Fahrräder, Taxis, Car2go. Für viele Wege werden Kombinationen angeboten, die dann direkt gebucht und bezahlt werden können. Bislang gibt es die App für Stuttgart und Hamburg; in Karlsruhe wie in mehreren US-Städten kooperiert man mit den öffentlichen Verkehrssystemen. 2,9 Millionen Nutzer, das ist noch nicht das ganz heiße Ding, aber das muss es auch nicht sein.

Moovel gehört zu der neuen Sparte Mobility Services im Daimler-Konzern: Neben Moovel sind das Car2go, Mytaxi, Beteiligungen an Flixbus und am Limousinenservice Blacklane. Parallel dazu gibt es seit Oktober vergangenen Jahres ein Programm, das sich Case nennt und die künftige Ausrichtung der Pkw-Sparte organisieren soll, mit dem Ziel, sogenannte Robocars zu entwickeln: Autos, digital vernetzt, selbstfahrend, elektrisch und von den Nutzern geteilt. "All dies", sagt Jörg Lamparter, Chef von Moovel und verantwortlich auch für Car2go und Mytaxi, "kommt zusammen in einem Endgame."

Endgame. Endziel. Oder auch Endspiel. Wer nicht enden will wie Detroit, muss sich zum Silicon Valley umbauen. Endgame, das ist im Sinne Lamparters eine autonome, elektrifizierte Mobilität. Wobei autonomes Fahren nicht unbedingt heißt, dass sich Menschen für viel Geld ein Auto kaufen werden, das keinen Fahrer braucht.

Denn nicht nur der Mensch muss sich vom Auto befreien, sondern auch das Auto vom Menschen. Eine Flotte von 18.000 Robocars, die ohne Unterlass in den Städten umhercruisen, könnten, so prophezeien es Studien, 200.000 private Pkw ersetzen. Wirklich? Werden die Leute dann auf ein eigenes Auto verzichten? Wem werden die Robocars stattdessen gehören? Oder wird es Menschen geben, die sich doch ein Robocar kaufen? Was machen die Menschen auf dem Land? Womit verdient Daimler sein Geld? Als Dienstleister?

Bei Daimler glaubt man auch, dass sich die ganze Kultur des Konzerns ändern muss. Leadership 2020 nennt sich das. Bei Moovel arbeitet man in Teams von fünf, sechs Beschäftigten, die ihre Aufgaben gemeinsam lösen und am Ende auch selbst entscheiden. Kooperation als Prinzip, innen wie auch nach außen. Niemand geht davon aus, die Probleme allein lösen zu können. Daimler wird Partnerschaften eingehen müssen. Mit der Politik sowieso, mit den mehr als 450 Verkehrsbetrieben im Land, mit anderen Unternehmen. Es gibt Verabredungen mit Uber über die Entwicklung eines Robocars, andererseits fehlen auf Moovel die DriveNow-Flotte von BMW und die Leihräder der Deutschen Bahn.

Die Autoindustrie wird getrieben von Unternehmen aus der digitalen Welt, die nur an Daten interessiert sind und denen es nicht ums Auto geht. Sie sind frisch, ihr Kapital scheint grenzenlos zu sein, sie kämpfen nicht ums Überleben, sondern darum, einen alten Markt durch einen neuen Markt zu ersetzen. Disruption, Zerstörung, heißt dieses Prinzip.

Bei Daimler gibt es Leute, die es nicht so gut finden, wenn Moovel den Leuten dabei hilft, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Dabei ist Lamparter kein IT-Nerd und auch kein digitaler Entrepreneur im T-Shirt. Vor 20 Jahren begann er eine kaufmännische Lehre bei Daimler in Untertürkheim, er erlebte das Desaster mit Chrysler, war lange in Nordamerika und im Bereich der Finanzdienstleistungen von Daimler tätig. "Wir erleben eine umfassende Transformation unseres Geschäfts. Wann es kommt, wie es kommt, wie stark es sein wird, darüber kann man diskutieren. Aber nicht darüber, dass es kommt, und das wissen auch alle."

Robocars, die Tag und Nacht durch die Städte flitzen und billiger als ein Taxi die Kunden abholen und absetzen, wo immer sie es wollen, das klingt großartig. Stuttgarts Straßen wieder Flaniermeilen, die Stadt im Talkessel ein Luftkurort. Aber war nicht auch der Traum von der autogerechten Stadt mal eine positive Vision?

Markus Friedrich ist seit 2003 Professor für Verkehrsplanung an der Uni Stuttgart. Friedrich, Rucksack, den Schädel kurz geschoren, ist ziemlich jung für seine 53 Jahre, ziemlich schlau und schnell. Ein Wissenschaftler, ein Mann der Skepsis. Es braucht nicht lange, bis er in Fahrt kommt.

Elektromobilität? Vorsicht, sagt er. Woher kommt der ganze Strom, wenn abends zu Hause die Autos aufgeladen werden oder vormittags in den Tiefgaragen? Was passiert mit den ausgelutschten, vor Gift strotzenden Batterien? Und sind es nicht Kinder, die im Kongo das Kobalt abbauen?

Robocars? Er lacht. Es gehe nicht darum, wie viele Autos es gebe, sondern darum, wie oft Menschen sie benutzten. Es sei ja fast ein Glück, dass die meisten Autos den größten Teil ihres Lebens parken und nicht fahren. Außerdem: Wer geht noch zu Fuß oder zur Bahn, wenn das Robocar einen direkt ins Büro fährt? Warum sollte jemand, der von Stuttgart nach Köln will, den ICE nehmen, wenn er sich nachts um zwölf ein Robocar ziehen kann, den Computer auf Ankunft acht Uhr timt und ausgeschlafen morgens ankommt? Es wäre das Ende des Schienenverkehrs, der in der Massengesellschaft unserer Städte immer noch das beste aller Verkehrsmittel ist. Tausend Menschen in einer S-Bahn, deren Energiebedarf extrem gering ist, verglichen mit tausend Elektromotoren. Das Robocar ist kein Weg in eine nachhaltige Zukunft, sondern könnte uns ins Zeitalter des totalen Individualverkehrs führen.

Das 20. Jahrhundert des Autos hat die Routinen unserer Fortbewegung in unserer DNA verankert. Sie lassen sich nicht so schnell verändern. Man müsste die Menschen zu ihrem Glück zwingen. Fragen ihn Verkehrspolitiker, was sie machen sollen, schlägt Friedrich drei Dinge vor, die sich, sagt er, schnell umsetzen ließen.

Erstens: Das Auto muss teurer werden. Viele europäische Länder haben eine Zulassungssteuer. Er denkt an tausend Euro.

Zweitens: Maut überall und für jeden. Am billigsten müssten die Autobahnen und Fernstraßen sein, am teuersten die Straßen, in denen die Fahrer wohnen.

Drittens: innerstädtisch generell Tempo 30. Dort, wo jetzt schon Tempo 30 gilt, Tempo 20. Fahrrad und Auto würden gleichgestellt, keine Fahrradwege, sondern alle auf derselben Straße. Vorteil: U-Bahnen und Straßenbahnen wären öfter wirklich schneller als das Auto.

Und die Zukunft? Mal abwarten.

Es ist nicht ganz China, was Friedrich da vorschlägt, aber fast. Mag sein, dass Verkehrsminister Hermann, der Friedrichs Ideen kennt, das alles nicht so schlecht findet. Aber würde er sie umsetzen, brauchten die Grünen bei den nächsten Wahlen erst gar nicht anzutreten. Kill your darlings.