ZEIT ONLINE: Herr Tumminelli, viele Autofahrer beklagen die schlechte Übersichtlichkeit moderner Autos. Warum sind die Fahrzeuge so unübersichtlich?

Paolo Tumminelli: Das hat technische und ästhetische Gründe. Die Fahrzeugfront – und somit die Gürtellinie – wurde angehoben. Gleichzeitig haben die Designer aus Gründen der Aerodynamik das Dach verjüngt und abgeflacht. Dazwischen gepresst wurden die Glasflächen kleiner.

Außerdem liegt es an der Pseudoästhetik des Automobildesigns . Bei einem Mercedes der siebziger Jahre war das Verhältnis Blech zu Glas in der Seitenansicht etwa fünfzig zu fünfzig. Heute sind Designer verliebt ins Zweidrittel-Eindrittel-Verhältnis, die Glasfläche wurde also immer kleiner. Und es wird noch extremer: In den Entwürfen vom neuen Golf steigt der Blechanteil offensichtlich in Richtung drei Viertel. Wenn der Trend so weitergeht, haben wir bald nur noch Blechbüchsen ohne Fenster, aber mit Kameras, die dem Fahrer zeigen, wie es draußen aussieht.

ZEIT ONLINE: Haben die Autohersteller womöglich gar kein Interesse, die Autos wieder übersichtlicher zu gestalten – damit sie mehr von solchen Kameras verkaufen können?

Tumminelli: Eingebaute Designfehler, um eine Technik zu verkaufen, wären – wenn das so stimmt – ein Verbrechen. Ich befürchte, dass es stimmt. Ich kritisiere das nicht per se. Ein Lamborghini Countach war auch nicht übersichtlich. Nur war das ein Nischenfahrzeug. Heute ist die schlechte Übersichtlichkeit ein Massenphänomen. Ein Stadtwagen oder ein Familienfahrzeug der Kompaktklasse muss auch ohne elektronische Hilfe übersichtlich sein, denn das erhöht die Verkehrsqualität.

ZEIT ONLINE: Sind Retro-Autos eine Art Gegentrend?

Tumminelli: Wir haben mittlerweile seit über 15 Jahren Retro-Autos, deshalb ist es mehr als nur eine Gegenbewegung. Den Begriff Retro finde ich aber nur bei echten Remakes passend, wie beim Mini und Beetle. Es hat sich ein neuer Klassizismus entwickelt, der mit dem Image früherer Auto-Epochen lediglich spielt. Ein Beispiel dafür ist die Chromverzierung auf der Motorhaube des neuen Fiat Panda. Eine solche Verzierung ist typisch für die fünfziger Jahre. Beim Panda hat das keine Logik, denn das Urmodell kam in den achtziger Jahren ohne  Chrom auf den Markt. Dass der Panda plötzlich solch eine unnötige Verzierung trägt, ist ein Modephänomen, das vielen Menschen sehr gut gefällt.

ZEIT ONLINE: Wie ist aus Designersicht der Erfolg der SUVs zu erklären?

Tumminelli: Autohistorisch sind sie eine alte Erfindung. Schon der Range Rover von 1972 war ein reinrassiges SUV. Was sich geändert hat, ist die Zielgruppe. Früher waren diese Fahrzeuge etwas für Aristokraten mit Haus in London und Hof im Engadin. In der Boomphase der neunziger Jahre entdeckte das aufsteigende urbane Bürgertum plötzlich das SUV. Inzwischen ist die breite Masse fasziniert von dem Konzept, weil es ihr ermöglicht, zumindest in Gedanken dem Alltag zu entfliehen. Das SUV ist das Fahrzeug des Eskapismus. Und es strahlt jene Potenz aus, mit der sich Fahrer für jede Lage gut gerüstet fühlen.

ZEIT ONLINE: Das klingt fast, als hätten Sie ein Problem mit den SUVs?

Tumminelli: Vor allem mit den Kompakt-SUVs, die jetzt massiv in Mode kommen. Wenn zehntausend Menschen statt einer dicken Limousine – etwa anstelle eines 7er BMW – einen dicken Porsche Cayenne kaufen, ist der Schaden für die Umwelt noch überschaubar. Anders ist das aber, wenn Millionen Menschen statt eines Golfs einen Tiguan anschaffen, dessen höhere CO2- und Verbrauchswerte in keinem Verhältnis zum Nutzungswert stehen. Relativ gesehen machen die großen weniger Sinn als die kleinen, doch absolut gesehen sind erstere die wahren Sünder.